Rekorde im Bakterienreich

In Zeiten der Pandemie galt als erste Maßnahme Händewaschen, denn so sollte man die aufgeschnappten Viren loswerden. So klein, so unsichtbar sind unsere ständigen Begleiter – Bakterien und Viren – dass wir oftmals vergessen, nie allein zu sein. Und als 1987 Joe Dante in dem Film “Die Reise ins Ich” Blutkörperchen gefährlich groß werden ließ, war es schon ein sehenswertes Schauspiel. Wie cool wäre es denn, wenn wir auch Bakterien sehen könnten?

Auf Guadeloupe könnte man sie tatsächlich ohne Mikroskop oder Lupe beobachten. Dort haben Forscher im Mangrovenbrackwasser eine neue Art beschrieben, die sämtliches Schulwissen über Bakterien über den Haufen wirft. Räumen wir also mit den Irrtümern auf.

  1. Bakterien sind klein.
    Das entdeckte Bakterium, Thiomargarita magnifica, erreicht 9 mm (Millimeter!) und ist damit 2-4 mal so groß wie eine Fruchtfliege. “Durchschnittliche” Bakterien erreichen allerdings 2 µm, eukaryotische Zellen 10-20 µm. 
  2. Bakterien haben keinen Zellkern.
    Auch wenn Thiomargarita magnifica keine Ausnahme darstellt, so ist ihre DNA, also das in höheren Organismen im Zellkern komprimierte Erbmaterial, ebenfalls organisiert. Die DNA befindet sich, zusammen mit Ribosomen, in einem Kompartiment, das mit der Zellmembran verbunden ist. Zellen brauchen Ribosomen, um die DNA in RNA zu übersetzen. In Eukaryoten findet dieser Prozess im Zellkern statt. Das noch nicht weiter beschriebene Kompartiment von T. magnifica, das die Autoren Pepin genannt haben, könnte folglich mit dem eukaryotischen Zellkern verglichen werden. Außerdem enthält eine T. magnifica Zelle ca. 35.000 Kopien ihres Genoms in diesen Pepinen und übertrifft auch hier den bisherigen Rekord.
  3. Bakterien haben wenige Gene.
    Auch wenn T. magnifica weniger Gene als der Mensch hat (23.000 Gene), ist es mit seinen ~12.000 Genen im Bereich von Fruchtfliegen und damit ein Rekordhalter unter den Bakterien, die im Schnitt 4.000 Gene beinhalten. Außerdem enthält T. magnifica viele Gene, die für die Synthese von Antibiotika oder anderen bioaktiven Stoffen notwendig sind und wäre ein interessanter Kandidat, um nach neuen Antibiotikaklassen zu suchen.
  4. Bakterien, die historischen Vorläufer von Mitochondrien, generieren ATP an der Zellmembran.
    T. magnifica beinhaltet ATP-produzierende Enzyme überall, nur nicht an der Zellmembran. Ebenfalls wurden viele dieser Enzyme in den Pepinen gefunden, wiederum ein Indiz dafür, dass in den Pepinen ein energieaufwendiger Prozess stattfindet. Allerdings wirft dieses Ergebnis Fragen auf, denn die membrangebundene ATP-Synthase bedient sich eines elektrochemischen Gradienten, um ihren Motor anzutreiben. Um diesen Gradienten aufrechtzuerhalten, bedient sich die Zelle verschiedener Tricks, die eine Kompartimentierung erfordern. Folglich müssten die Pepine der T. magnifica als ein abgeschlossenes Kompartiment betrachtet werden, was es somit dem eukaryotischen Zellkern noch ähnlicher macht. Die ATP-Synthasen, die außerhalb der Pepine gefunden wurden, müssten sich ebenfalls in den Membranen von mini-Kompartimenten befinden, die in dieser Funktion mit Mitochondrien vergleichbar wären (worüber die Autoren nichts verraten haben). Wie diese mini-Kompartimente den elektrochemischen Gradienten herstellen, bleibt eine spannende Frage. 
  5. Bakterien vermehren sich, indem sich eine Zelle in zwei kleine teilt.
    Statt sich jeweils zu halbieren, produziert eine T. magnifica Zelle eine Knospe, die sich ablöst und auswachsen muss. Dabei erhält die Knospe nur einen Bruchteil der Pepine, das heißt, sie bekommt nicht eine komplette Kopie des 35.000-fach kopierten Elterngenoms, sondern nur einzelne Kopien, die sie dann selbst vervielfältigt.   
  6. Bakterien vermehren sich schnell.
    T. magnifica braucht annähernd zwei Wochen, um eine Knospe abzulösen.

All diese Überraschungen, die das entdeckte Bakterium für uns bereit hält, zwingt uns, alte Konzepte über Bakterien zu überdenken und zeugt wieder einmal von der Vielfalt des Lebens auf unserem Planeten. 

Quelle: Volland JM, Gonzalez-Rizzo S, Gros O, Tyml T, Ivanova N, Schulz F, Goudeau D, Elisabeth NH, Nath N, Udwary D, Malmstrom RR, Guidi-Rontani C, Bolte-Kluge S, Davies KM, Jean MR, Mansot JL, Mouncey NJ, Angert ER, Woyke T, Date SV. A centimeter-long bacterium with DNA contained in metabolically active, membrane-bound organelles. Science. 2022 Jun 24;376(6600):1453-1458. doi: 10.1126/science.abb3634. Epub 2022 Jun 23. PMID: 35737788.

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