Neophobia – oder die Kunst, Neues zu akzeptieren

Dass Krähenvögel schlau sind, dürfte sich inzwischen herumgesprochen haben. Spätestens seitdem der Gott Odin sie als Dauerberichterstatter einsetzte und Wissenschaftler ihnen in zahlreichen Studien ihren Erfindergeist bestätigten (z.B. hier), haben sie neben Papageien Anspruch auf einen Platz auf dem Intelligenzsiegertreppchen der Vögel. Dennoch lastet ihnen noch der Ruf des Unglückbringers an, vielleicht weil sie nicht mit einer wohlklingenden Stimme ausgestattet sind (Papageien ebenso wenig) oder aufgrund ihres schwarzen Gefieders (trotz der Coolness, die schwarzer Kleidung eigen ist). Umso erstaunlicher fand ich eine neulich erschienene Studie, ob Vögel in Städten weniger Angst vor Neuem (Neophobie) haben oder schneller lernen, als ihre Dorfverwandten (nachzulesen hier).

Städte sind für Vögel potentiell gefährlich: es gibt viel Verkehr, hängende Leitungen und Katzen als in ländlichen Gegenden, aber auch neue Nistmöglichkeiten und eine schier unendliche Vielfalt an neuen Nahrungsquellen, seien es Reiskörner oder Brotkrumen, die unter den Tischen der Straßenrestaurants zu finden sind, oder achtlos hingeworfene Verpackungen, in denen sich doch noch ein paar Krümel befinden. Neugierde kann helfen, eine neue Futterquelle zu entdecken, kann aber auch zum Verhängnis werden.

Ein Forscherteam aus England hat sich für diese Frage interessiert und zwei Winter lang Vögel an zwölf Futterstellen beobachtet. Drei davon waren in ländlichen Gegenden aufgestellt, drei in städtischen (die Unterscheidung wurde aufgrund der 1 km2 großen Fläche getroffen, die in dem Areal von Dächern eingenommen wurde, bei über 20% galt die Gegend als Stadt, bei unter 6% als ländlich). Gezählt wurden Krähenvögel (Dohlen, Eichelhäher, Saatkrähen, Krähen, Elstern) und andere, unverwandte Vögel (Blaumeise, Kohlmeise, Rotkehlchen, Amsel, Buchfink, Ringeltauben, Haussperling). Dann gewöhnten die Forscher die Vögel an die Futterstellen, ehe mit neuartigen Gegenständen experimentiert wurde. Dafür legten sie neben die Erdnusskerne entweder Gegenstände aus der Natur, Verpackungen, die die Vögel zumindest in den Städten schon mal gesehen haben konnten, oder völlig neuartige Gegenstände, die es in der Form noch nicht gab. Dann zählten die Wissenschaftler aus, wie viele Vögel der jeweiligen Art den Futterplatz anflogen und wie lange es bis zum ersten Besuch dauerte. In den insgesamt 77 Versuchen wurden insgesamt 4300 Vogelbesuche ausgewertet, bei denen 15245 Erdnüsse gefressen wurden.

Beispiele für Testgegenstände a) natürlich, b) Müll, c) neuartig. Bild aus Greggor et al., 2016

Die genaueren Ergebnisse lassen staunen. War es den nicht-Krähen offenbar egal, ob neben dem Futter ein natürlicher oder fremdartiger Gegenstand lag (die Wahrscheinlichkeit, ob sie auf dem Futterplatz landeten oder nicht, war gleich), jedoch nicht so bei Krähen. Diese kamen mit großer Wahrscheinlichkeit (und größerer als bei nicht-Krähen) zur Futterstelle, wenn sich außer den Erdnüssen dort nichts weiter befand. Stöckchen, Müll oder fremde Objekte verschreckten sie gleichermaßen. Ohne Fremdobjekt war allerdings die Wahrscheinlichkeit viel höher, dass eine Krähe auf dem Futterplatz landete, als eine nicht-Krähe. Auch kamen sie viel öfter. Im zeitlichen Verlauf kamen Krähen allerdings generell eher später, als nicht-Krähen. Sprich: Meisen oder Sperlinge kamen generell  zuerst, doch selten, aber es war generell eher damit zu rechnen, dass irgendwann während der Beobachtungsphase eine Krähe zum Futterplatz kam (und wiederholt kam), als ein anderer Vogel. Stadtvögel kamen generell eher zum Futter, wenn Müll daneben auslag, als „Landvögel“.

Die Tatsache, dass Stadt- und Landvögel sich von neuartigen Gegenständen gleich abschrecken ließen, Stadtvögel jedoch weniger Angst vor Lebensmittelverpackungen haben, deutet darauf hin, dass sie nicht generell neugieriger oder mutiger sind, als ihre Waldgenossen. Offensichtlich haben sie in ihrem Leben bereits gelernt, dass Müll keine Gefahr darstellt. Dass Krähen so schreckhaft sind, hat jedoch die Forscher selbst überrascht, da sie bei der Intelligenz der Tiere und ihrem Erfindungsreichtum nicht davon ausgingen, dass sie sich so leicht verschrecken lassen. Eventuell könnte diese Schreckhaftigkeit damit zusammenhängen, dass Krähen von Menschen häufiger verscheucht werden, als Singvögel, und damit eher lernen, vor neuartigen Dingen Angst zu haben. Doch um dies zu prüfen, müsste man zunächst einen Ort finden, an dem Krähenartige nie in Konflikt mit den Menschen geraten. Auch bleibt die Frage offen, wie lange etwas Neuartiges noch Angst auslöst oder in die Kategorie „Müll, kenne ich schon“ fällt. Das könnte ein spannendes Feld für Hobbyornithologen werden.

Emery, N. J. (2006). Cognitive ornithology: the evolution of avian intelligence. Philosophical Transactions of the Royal Society B: Biological Sciences, 361(1465), 23–43. http://doi.org/10.1098/rstb.2005.1736                10.1098/rstb.2005.1736

Alison L. Greggor,  Nicola S. Clayton,  Antony J.C. Fulford, Alex Thornton (2016) Street smart: faster approach towards litter in urban areas by highly neophobic corvids and less fearful birds. Animal Behaviour  Volume 117, July 2016, Pages 123–133 doi:10.1016/j.anbehav.2016.03.029

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