Entscheidend ist, was hinten nicht rauskommt

Wenn ich heute morgen mein Schälchen Müsli, mittags die Currywurst mit Pommes+Mayo, nachmittags die Käse-Schinken Stulle und abends den Teller Salat gegessen habe, habe ich durchschnittlich 108 bis 1012 Bakterien aufgenommen. Es könnte auch ein Terabac heißen. Allerdings ist das weder besorgniserregend, noch deutet es auf antisanitäre Bedingungen in meiner Küche hin. Dieser Wert entspricht dem Durchschnitt der von jedem einzelnen Menschen aufgenommenen Bakterienmenge, allerdings abhängig von den Essensvorlieben. Obst, Gemüse, Käse und andere unter bakterieller Einwirkung hergestellte Produkte enthalten natürlicherweise eine höhere Bakteriendichte als Gummibärchen, doch ist dies sicherlich kein Grund, seine Nahrung umzustellen. Im Gegenteil.

Der Darm ist streng genommen ein offenes Ökosystem, dessen Mikrobiom, also die Zusammensetzung der bakteriellen Population, sehr stark von der Ernährung, Medikamentennahme, Alter, und – in geringeren Maßen – dem genetischen Hintergrund des jeweiligen Menschen/Tieres abhängt. Andererseits ist nur rund die Hälfte des Mikrobioms durch die genannten Faktoren individuell unterschiedlich, während die Zusammensetzung der anderen Hälfte zwischen allen Menschen gleich ist. Interessanterweise bleibt die bakterielle Gesellschaft im Darm zeitlich annähernd konstant und extern zugeführte Bakterien werden bald wieder verdrängt. Diese Fähigkeit nimmt allerdings im Alter ab, denn bei älteren Menschen schwächelt nicht nur das Immunsystem, sondern auch die Fähigkeit des Darmmikrobioms, sich gegen Eindringle zu verteidigen. Das Schicksal der mit dem Essen aufgenommenen Bakterien ist ohnehin sehr grausam. Im Magen sind sie durch die Magensäure zunächst einem sehr niedrigen pH ausgesetzt und die meisten von ihnen werden durch proteinabbauende Enzyme zerstört. Überleben sie dies, treffen sie im Dünndarm auf Galle und weitere proteinabbauende und fettabbauende Enzyme. Bis zum Dickdarm schaffen es von meiner Tagesration noch maximal 100 000 Stück. Manche können sich im Dickdarm ansiedeln, andere wiederum werden bald wieder von der Stammpopulation verdrängt. Probiotische Präparate wirken deswegen nur kurzzeitig und müssten für einen fortdauernden Effekt ständig aufgenommen werden.

Doch ist es überhaupt wünschenswert, Bakterien mit dem Essen aufzunehmen oder sollte man jetzt auf Astronautennahrung ausweichen? Zum einen können die aufgenommenen Bakterien durch ihren angepassten Metabolismus helfen, komplexe pflanzliche Zucker aufzuspalten und der stärker spezialisierten Dauerpopulation im Darm verfügbar zu machen. Andererseits produzieren manche der Neuankömmlinge eine Schutzschicht aus Polysacchariden, die ebenfalls als Nahrung für das permanente Mikrobiom dienen können. Manche stellen Vitamin B12 oder Vitamin K her, was nicht nur ihnen, sondern auch anderen Bakterien und dem menschlichen Wirt zugute kommt. Manchmal ist schon allein die physische Präsenz von nicht-pathogenen Bakterien von Vorteil, da sie mit möglichen Krankheitserregern um den Platz in der Schleimschicht des Darms konkurrieren. Wiederum andere stellen Bakteriocine her, um unliebsame Konkurrenten durch bakterienspezifische Toxine zu verdrängen. Schlussendlich regen sie den Menschen an, mehr schützenden Schleim und Abwehrkörper zu produzieren, wodurch sich erst recht kein Krankheitserreger festsetzen kann. Damit können nicht nur entzündliche Darmerkrankungen, sondern wohl auch Typ 2 Diabetes sowie Herz-Kreislauferkrankungen vorgebeugt werden.

Also: keine Angst vor Milchsäure-, Bifido- und Propionibakterien, die uns vor Clostridien, Salmonellen und Co beschützen. Darauf hole ich mir jetzt noch einen Joghurt aus dem Kühlschrank.

Übersetzt und zusammengefasst aus Derrien et al.

Photo by Eric Erbe, digital colorization by Christopher Pooley.

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